Täter und Opfer

Wir wissen schon, dass die, die heute Täter sind, früher oft Opfer waren. Man sieht das vor allem bei Kindesmisshandlungen, aus geprügelten Kindern werden oft prügelnde Eltern.

Aber es gibt auch noch eine Art, auf die Opfer zu Tätern werden, nämlich dann, wenn sie sich selbst zu Opfern machen. Das passiert dann, wenn wir unseren Beitrag zur Tat nicht sehen oder nicht sehen wollen, denn nur an unserem Anteil können wir etwas ändern.

Es liegt in der Natur unserer menschlichen Erfahrung und in den Belangen der Gesellschaft, dass man nicht einfach alles machen kann, was und wie man will. Allgemeine Regeln beschränken unsere Möglichkeiten und sei es auch nur die Straßenverkehrsordnung, die bestimmt, dass wir auf der rechten Straßenseite fahren sollen.

Die Art wie wir Beziehung gestalten sagt viel aus über uns selbst, wir können uns dessen aber bewusst werden.

Es gibt, grob vereinfacht, zwei Arten von Beziehungen, Beziehungen auf Augenhöhe und Beziehung in Hierarchien. Es ist schön und befriedigend für uns, sich auf Augenhöhe zu begegnen, auch wenn der Eine vielleicht dies, der Andere etwas anderes kann oder weiß.

Beziehungen in Hierarchien können ebenfalls durchaus befriedigend sein: Wenn ein Schüler gerne vom Lehrer lernt, oder jemand innerhalb eines Teams einen Teilaspekt eines größeren Projekts bearbeitet. Da weiß man, warum bzw. wozu man sich einfügt oder etwas einübt.

Schwierig wird es, wenn der Grund dazu nur vorgeschoben oder angeordnet ist. In diesem Interview erläutert Jeannette Fischer sehr einfühlsam anhand der gegenwärtigen Pandemiesituation, wie am agieren der Schlüsselpersonen in Politik, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft erkennbar wird, welches Bild die diversen Akteure von sich, der Welt und ihren Mitmenschen haben.

Wenn nicht „die Sache“ das einigende Band, die Aufgabe, das Thema ist, das die Menschen zusammen arbeiten lässt, kann es kein gutes Ergebnis geben.

Aber das ist ja nur ein Beispiel. Bei jeder Interaktion zwischen Menschen bestimmen immer beide wie die Kommunikation läuft, bis hin zum Abbruch, wenn es zu keiner Verständigung kommt. Der Grund ist dann oft der „Spiegeleffekt“. Wenn man in den Spiegel sieht, dann denkt man zunächst, der Nächste sieht mich so, wie ich mich hier im Spiegel sehe… bis man versucht, sich selbst die Hand zu geben.

Wenn Kommunikation nicht funktioniert, kann es – im übertragenen Sinne – daran liegen, dass wir im Nächsten nur uns selbst sehen, wie im Spiegel. Erst dann, wenn wir uns klar machen, dass für mein Gegenüber die Seite, die ich im Spiegel rechts sehe, für den Nächsten links ist und umgekehrt, kann echtes Verständnis aufkommen.

Der hohe Rüstungsetat und die vielen Waffen der Nato, USA und in der amerikanischen Bevölkerung sind ein Zeichen für die große Angst, die dort Zuhause ist. Alles ist Bedrohung, dagegen muss man sich schützen und noch mehr Waffen haben. Daraus wird dann eine immer größere Bedrohung, weil der Ängstliche nicht merkt, dass er da vor einem Spiegel steht.

Man unterscheidet in der Tier-Verhaltensforschung zwischen Tieren, die sich selbst im Spiegel erkennen und Tieren, die im Spiegel einen Artgenossen sehen. Kampffische bekämpfen ihr Spiegelbild bis zur völligen Erschöpfung, Delphine erkennen ihr Spiegelbild als ein Bild von sich und spielen damit.

Wir können lernen zwischen dem, was mein Nächster ist, und dem, was ich von mir auf ihn übertrage zu unterscheiden und einen weiteren Schritt hin zu echter Kommunikation machen, und dann ist „Täter oder Opfer“ keine Frage mehr. Jeder ist Täter und Opfer und da die „Macht“ ja nur beim Täter liegt, sind die armen Opfer tatsächlich zu bedauern.